Bei Ankunft – wie
sollte es anders sein – regnete es wieder einmal und hat sich auch bis jetzt
nicht großartig geändert. Der Sommer fällt in Irland mal wieder aus. Wie sagt
der Ire so schön: „Man kann froh sein, wenn man alle sieben Jahre einen schönen
Sommer hat.“ So lange wollte ich allerdings nicht mehr hierbleiben. Der letzte
schöne Sommer war 2013. An meinem ersten Morgen bekam ich beim Blick aus dem
Fenster, einen Schrecken: mein Garten hatte sich in einen Dschungel verwandelt,
da ich vor Abreise wegen der Nässe nicht mähen konnte. Chicos Hundehütte war
kaum mehr zu sehen. Mir blieb nichts anderes übrig als Donal eine Message zu
senden um ihn zu bitten, mit seinem Benziner zu mähen. Auf einen elektrischen
Schlag hatte ich nicht wirklich Lust. Überhaupt hatte ich hier keine Lust mehr
auf Garten. Alle Pflanzen ob innen oder außen gingen mir hier kaputt oder
werden von Schnecken oder anderem Ungeziefer gefressen. Einzig das Unkraut wächst und gedeiht. Es wird
hier keine neuen Pflanzen mehr geben, das Geld spar ich mir lieber für Spanien.
Allerdings gibt es noch ein großes Problem und da arbeite ich noch an einer
Lösung: Chico! Den holte ich wieder ab aus seinem Urlaubsdomizil. Was soll aus
ihm werden? Abgeben kommt für mich nicht in Frage aber wenn ich mir so die
Immobilienangebote ansah, gibt es zwar jede Menge schöner und auch schön
möblierter Apartments aber nichts mit Garten. Und einen großen Hund mitbringen?
Da winkt doch jeder Hausbesitzer gleich ab. Auf den sauberen spanischen Straßen
kann ich mir auch nicht wirklich einen Spaziergang mit Chico vorstellen, denn
dort wird drauf geachtet, dass Hunde nicht auf die Bürgersteige kacken. Aber
bei Chicos Bomben würde ich wahrscheinlich in Ohnmacht fallen, wenn ich die
mithilfe von Plastiksäcken einsammeln müsste. Diese Gedanken und die nächsten
Wochen brachten mich wirklich in die Zwickmühle einer Entscheidung, denn es
passierte eine ganze Menge, die meine Entscheidung, Irland zu verlassen, noch
verstärkten…
Als ich nach meiner
Rückkehr mein Handy aktivierte, kamen mir einige böse Nachrichten aufs Display.
Mein Sohn war stocksauer darüber, dass ich mich nicht zu den Geburtstagen
seiner Töchter gemeldet hatte. Beide Geburtstage liegen nur einige Tage
auseinander und fielen nun leider in meinen Urlaub. Excuse me? Er will sein
Leben leben, und ich lebe meins. Klar hatte ich an die beiden Mäuse gedacht
aber ich glaube nicht, dass es für sie einen Unterschied machte, ob ich anrief
oder nicht. Für die Kleine schon gleich gar nicht. Nein, es waren die
(vermeintlich) Erwachsenen, die das erwarten. Er sah dann auch recht schnell
meine Motive ein und somit fiel der nächste Streit erst einmal aus. Doch bei
den nächsten Gesprächen verteufelte er seine Ex, die Mutter seiner älteren
Tochter und wiederholte was er schon zuvor angedeutet hatte: dass er den
Kontakt zu seiner Tochter abbrechen wollte. Ich bekniete ihn das nicht zu tun,
das Mädchen würde ihn doch als Vater brauchen, und außerdem weiß keiner so gut
wie ich, wie einem das Herz bricht, ein Kind zu verlieren. Ich konnte ihn nicht
überzeugen, er holte sie einfach nicht mehr ab. Wieder einmal war ich
tieftraurig, ich hatte die Kleine so liebgewonnen und mich immer über Fotos von
diesem bildhübschen Mädchen gefreut oder mit ihr telefoniert. So gern hätte ich
sie aufwachsen sehen. Eine Möglichkeit, mit meinem Sohn einmal allein zu
sprechen gab es nicht, aber das sah ich als einzigen Weg, ihm klar zu machen,
was er da verlor. Das was er nun an Zeit verpasste, würde er nie wieder zurückholen
können. Wenn es wirklich nur um Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und
seiner Ex ging, warum übernahm seine Lebensgefährtin nicht das Abholen und
Wegbringen? Auf diese Frage hatte mein Sohn abgeblockt. Im Nachhinein kam dann
sogar heraus, dass mein Sohn seine Tochter nicht einmal zum Geburtstag gesehen
hatte. Hauptsache ich sollte anrufen!
Mittlerweile, so
erfuhr ich hatte die Lebensgefährtin meines Sohnes vermittelt und man hatte
sich wohl getroffen. Vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung.
Der nächste Schock
kam als ich in meinen Briefkasten blickte. Hier erwartete mich ein Brief von
einem Inkassoinstitut. Es ging noch immer um die Krankenhausrechnung, dessen
Begleichung von angeblich nicht finden konnte. Sofort blieb mir die Luft weg
als ich diesen Brief las und ich musste zu meinem Spray greifen. Statt sich mit
mir auseinanderzusetzen bzw. den von meiner Versicherung überwiesenen Betrag zu
suchen, hatte man den Fall ganz simpel an das Inkassounternehmen
weitergereicht. Sofort rief ich dort an und ließ mich mit dem bearbeitenden
Mann verbinden. Ich erklärte ihm die Situation und schickte ihm den
Zahlungsnachweis per E-Mail. Wundersamer Weise wurde nach Eingreifen des
Inkasso Institutes die Zahlung ganz schnell gefunden. Die Buchhaltung des
Krankenhauses kontaktierte mich und machte den Vorschlag, den gesamten Betrag
wieder an die Versicherung zurück zu überweisen, diese sollte dann den Betrag
an mich überweisen, damit ich die Rechnung selbst noch einmal beglich und die
Überzahlung behielt. Ich antwortete nur einmal auf diese E-Mail und fragte ob
die bekloppt seien. Warum buchten die nicht einfach den Betrag zur fehlenden
Rechnung und überwiesen den überzahlten Betrag zurück an die Versicherung oder
an mich oder wie auch immer? Scheinbar waren die lernfähig, denn tatsächlich
erhielt ich wenige Tage später einen Brief von meiner Versicherung, mit der
Bitte, meine Bankverbindung anzugeben damit man mir den zu viel gezahlten
Betrag zurück überweisen konnte. Der Brief ging am nächsten Tag mit meiner
Bankverbindung in die Post. Umso mehr verwunderte mich, dass ich kurze Zeit
später einen Brief mit einem Scheck in meinem Briefkasten fand. Warum wollten
die nun meine Bankverbindung? Ja, die sind alle etwas bekloppt, die Iren!
Es ist wirklich an
der Zeit, wieder mein eigenes Leben zu leben und alles andere distanzierter
anzugehen, am besten alles hinter mir lassen.
Zu Beginn der neuen
Woche hatte mich der Alltag und der ganz normale Wahnsinn wieder zurück. Wieder
einmal hatte sich der Mist, den andere verbockt hatten, angehäuft, damit ich
alles korrigierte. Dies erlebte ich ja nun jedes Jahr, doch in diesem Jahr war
es extrem. Es war nicht so, dass dies Anfängerfehler waren. Nein, die neuen
Kollegen waren teilweise wirklich strohdumm, dabei noch aggressiv, oder
stinkend faul. Die Anforderungen wurden nebenbei immer höher, uns wurde immer
mehr Arbeit aufs Auge gedrückt. Dann erfuhr ich von einer ehemaligen Kollegin,
dass die Firma mittlerweile alle ehemaligen deutschen Mitarbeiter anschrieb, um
ihnen wieder eine Arbeitsstelle anzubieten. Bei mir schrillten sämtliche
Alarmglocken. Das bedeutete, man fand niemand mehr, der sich auf die
ausgeschriebenen Stellen bewarb. Warum auch? Das was vielleicht seit vielen
Jahren funktionierte, das konnte unter den jetzigen Bedingungen nicht mehr gut
gehen. Die Firma bietet ein vergleichsweise mieses Gehalt an. Keine
Krankenversicherung und auch sonst keine Leistungen, die konkurrenzfähig ist,
und den Kampf um Arbeitskräfte aus Deutschland zu gewinnen. Irland bietet dazu
recht wenig Attraktivität an, um Deutsche zu locken. Die Arbeitslosenzahl ist
sehr niedrig, also warum sollte jemand nach Irland kommen, wenn er gut mit
Hartz IV leben konnte oder Arbeit in Deutschland findet? Für mich bedeutet dies
im Moment eine nervliche Überbelastung, weil die Anrufe mit Reklamationen,
Bestellungen etc., gnadenlos auf eine kleine Gruppe einprasseln werden, die
sonst von ca. 15 Leuten oder mehr angenommen und bearbeitet werden so gut es
geht, doch das artet meist schon in Chaos aus in der busy Season. Da wir
angehalten sind, bis August unseren Jahresurlaub zu nehmen, nahm ich mir frei
und ging zum vereinbarten Termin bei einer Psychotherapeutin. Bei einem
Gespräch, indem ich ganz offen über meine Gefühle sprach sowie über die Hölle
die ich vor einigen Jahren durchlebte, brach nicht nur ich in Tränen aus,
sondern die Therapeutin war auch ganz nah am Wasser gebaut. Sie war ratlos, wie
sie mir helfen konnte. Ich sagte es ihr: ich benötigte ein Attest, was
aussagte, dass ich schwer depressiv war. Sie sah ein, dass weitere Gespräche
mir nicht helfen würden. Stattdessen
hilft mir nur so schnell wie irgend möglich aus Irland und aus dieser Isolation
wegzukommen. Sofort war sie bereit, mir dieses Attest anzufertigen. Innerhalb
weniger Tage bekam ich dies auch per Post zugestellt. Nun fehlt mir noch eins
von meinem praktischen Arzt und dann werde ich den Kampf mit der irischen
Sozialbehörde aufnehmen. Nachdem die deutsche Rentenversicherung mich scheinbar
um meine eingezahlten Beträge bescheissen will, so wie man mir bereits schriftlich
bestätigte, muss ich mich nun in Irland um Rente bemühen, mit dem Vorteil, dass
es hier mehr gibt als in Deutschland und dass man bereits nach 5 Jahren
Vollzeitbeschäftigung Anspruch auf Rente hat. Meine deutschen Rentenversicherungsbeiträge
– alles umsonst – was ich jahrelang erwirtschaftet und an diesen deutschen
Staat abführen musste, behält nun der Staat ein. Und wofür? Damit er andere in
die Altersarmut schickt! Das allein ist schon Grund genug für mich zu sagen:
„Good Bye Deutschland – für immer!“ Aber es gibt noch unzählige andere Gründe.
Spanien war immer mehr Heimat für mich als Deutschland. Selbst zu Brasilien
habe ich ein innigeres Verhältnis als zu Deutschland. Fazit: Deutschland, nie
wieder! Aber Irland auch nicht länger!
Meine Entscheidung,
den Job zu kündigen, manifestierte sich, nachdem ich nach meinem langen
Wochenende wieder zur Arbeit zurückkehrte. Wieder einmal gab es Neuigkeiten,
aber keine guten. Unsere Abteilungschefin hatte in einem Meeting bekannt gemacht,
dass unser Kundenservice ab sofort jede Bestellung, die aufgenommen wurde,
mitzuschneiden wäre. Das allein war nicht das Problem aber die Mitschnitte
sollten auf einem umständlichen Weg in diesem selbst zusammengebastelten
Softwareprogramm der Firma, von uns in einer Datei gespeichert werden. Bei dem
immens hohen Aufkommen von Anrufen, und es handelt sich ja hier um
Reklamationen, die angenommen und angelegt werden müssen, was zeitaufwendig
genug ist, sollten nun auch noch jeweils 3 Minuten für das Speichern der
Aufnahmen draufgehen. Niemand hier war glücklich über diese Entscheidung, aber
keine wagte es wirklich, den Mund aufzumachen. Ich sprach mit den Kollegen,
erfuhr erst hier, dass es kein Meeting war sondern eigentlich nur eine
Bekanntgabe, und somit eigentlich bereits beschlossene Sache, über die Köpfe
hinweg, derer, die es ausbaden sollten. Unsere Abteilungsleiterin hielt es
nicht für nötig jeden Tag bei uns anwesend zu sein. Sie bevorzugt das andere Gebäude,
da sich dort die Kantine befindet, na ja, und ihre Freundinnen. Als sie jedoch donnerstags
erschien, bat ich sie um ein Meeting am folgenden Tag. Fast wütend, bereits
ahnend worauf dies hinauslief, wollte sie von mir wissen, warum. Ich erklärte,
dass den Mitarbeitern des Kundenservice doch die Möglichkeit gegeben werden
musste, hierzu Stellung zu beziehen. Die Nachfolgerin unseres fähigen und
kompetenten Abteilungsleiters, der von heute auf morgen entlassen wurde, und
sie nun völlig überfordert die Stelle antreten musste, da eine externe Dame,
die Position wegen zu geringer Bezahlung abgelehnt hatte, reagierte sauer und
hilflos, stürmte sogleich nach draußen, um erst einmal eine Zigarette zu
rauchen. Ich wusste, dass ich bei sämtlichen höheren Angestellten hier sehr
unbeliebt war, schlicht und ergreifend, weil ich diesen irischen Idioten
überlegen war. Der einzige Grund, warum man mich noch nicht gefeuert hatte,
war: sie wussten, dass ich die Firma auf eine Abfindung verklagen würde.
Außerdem war ich für den Kundenservicebereich im deutschen Markt, die einzige
Leistungsträgerin. Aus diesem Grund, so hatte man es mir aus einer sicheren
Quelle zugesteckt, bekam ich die Stelle als Teamleiterin der Nachtschicht auch
nicht. Man wollte mich im Kundenservice nicht verlieren.
An diesem Freitag
fand um 15.00 Uhr das Meeting statt. Hut ab! Sie hatte sich gut vorbereitet,
jegliche Einwände im Keim zu ersticken. Doch sie war nicht vorbereitet mit
meiner Hochrechnung, wieviel Zeit wir an einem Tag mit der Speicherung
verlieren, somit Anrufe verpassen und dem gesamten Service schadeten. Trotzig
und wütend, griff sie mich nun mit einer hysterisch laut werdenden Stimme an, behauptete,
dass das Speichern nur eine Minute dauern würde, und wenn ich drei Minuten
brauchte, dann würde ich wohl etwas falsch machen. Ich sah in die Runde, doch
keiner machte den Mund auf. Als dann auch noch unsere zweite Supervisorin ins
gleiche Horn blies, war das der Punkt für mich, einen Schlussstrich zu ziehen.
Ich musste schwer an mich halten, um beiden nicht entgegenzuhalten, dass diese
Taktik lediglich dazu benutzt würde, den Leistungsbonus prozentual herunter zu drücken.
Wieder Geld, was die Firma einstreichen wollte, anstatt die Mitarbeiter am
Erfolg teilhaben zu lassen.
Als sollte es so
sein, stand nach Feierabend eine ehemalige Kollegin vor der Tür und wartete auf
jemanden. Ich sprach sie an, ob sie etwas für mich tun könnte in der Firma, in
der sie arbeitete, und so ziemlich die einzige Alternative in diesem Nest war.
Somit geht nun alles seinen Gang. Das erste telefonische Interview habe ich
bereits hinter mir und wenn alles klappt, werde ich zumindest für den Rest
meiner Zeit in Irland einen anderen Job mit mehr Gehalt bekleiden. Das gibt mir
noch ein bisschen mehr Zeit um darüber nachzudenken, was mit Chico passieren
soll. Falls es nicht klappt, werde ich mein Ziel mit der Frührente weiterverfolgen
und auf den Erfolg des Buches hoffen. Und dann
GOOD BYE IRLAND
GOOD BYE
DEUTSCHLAND